Offenheit als sportpolitische Aufgabe der Zukunft

Ein Beitrag des SHTV Vizepräsidenten Breitensport / Freizeit- und Gesundheitssport Finn Blunck
Fairness, Solidarität, Zusammenhalt und Sportgeist sind für mich nur einige Buzzwords, die den Vereinssport für mich ausmachen. Mir ist wichtig, dass in unseren Turnvereinen Menschen aller Nationalitäten, Religionen und unterschiedlicher sozio-ökonomischer Herkunft zusammenkommen und gemeinsam Sport treiben.

Gerade im professionellen Sport gibt es sportartübergreifend sehr viele Vorbilder, die sinnbildlich für „gelungene Integration“ stehen. Aber wie ist „gelungen“ definiert und wie messe ich es? Reicht es, wenn ich als Ausländer:in oder Mensch mit Migrationshintergrund bei Euch mitmache, oder muss ich schon zu Beginn sportliches Potenzial für eine Medaille vorweisen können? Darf ich bei Euch mitmachen, auch wenn meine Deutschkenntnisse vielleicht nur rudimentär sind? Kann ich mir den Sportverein überhaupt leisten, oder mich bei Euch engagieren, oder ist das den Deutschen vorbehalten?

Diese Fragen sollen zum Nachdenken anregen, denn in unseren drei Nationalmannschaften der olympischen Sportarten sind einige Turner:innen und Trainer:innen mit Migrationshintergrund aktiv. Die sportlichen Erfolge von Menschen mit Migrationshintergrund feiern wir in Deutschland oftmals als ein Beispiel für besonders „gelungene Integration“. Aber ist das wirklich so? Die Rhythmische Sportgymnastik ist hierfür das perfekte Beispiel, so ist unsere Weltmeisterin Darja Varfolomeev, die 2006 in zentral-süd Russland geboren wurde und mit zwölf Jahren nach Deutschland kam, nur eines von vielen Beispielen innerhalb unserer Nationalmannschaften. Sie hat großartige Chancen auch bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris erfolgreich zu sein, aber ist sie dadurch besser integriert als eine Turnerin, die es nicht in die Nationalmannschaft geschafft hat?

Nein, denn wir sollten grundsätzlich nicht zwischen guten und bösen Ausländern, bzw. Deutschen mit Migrationshintergrund unterscheiden. Wir leben schließlich nicht in einem Disney-Film, sondern wir bringen unterschiedliche privaten Einflüsse mit in unsere Gemeinschaft, wodurch wir als Gemeinschaft von der Heterogenität profitieren. Wir profitieren auf verschiedene Art und Weise, so sind heterogene Gruppen beispielsweise viel kreativer, da verschiedene Perspektiven und Erfahrungen vorhanden sind. Insgesamt gibt es in derartigen Gruppen weniger Routine, wodurch mehr Entwicklung und Produktivität entstehen kann.

Egal, ob im Sport oder in unserer Gesellschaft, der Wert eines Menschen hängt nicht vom individuellen Erfolg und Leistungsvermögen ab. Ich weiß, dass deshalb alle Menschen in unseren Turnvereinen willkommen sind, ganz unabhängig von ihren sportlichen Erfolgen. Nicht umsonst heißt es ganz vorne in unseren Grundrechten „niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen und politischen Anschauung benachteiligt oder bevorzugt werden“ (Art 3, Satz 3, GG). Auch in meinem Privatleben hatte ich schon mit Rassismus und hierbei insbesondere dem strukturellen Rassismus innerhalb unser Verwaltungsstrukturen zu tun. Also lasst uns etwas handeln, denn gerade für einen Sportfachverband mit einer Nationalsozialistischen Vergangenheit und seinem 175jährigen Bestehen, müssen wir uns jeden Tag wieder hinterfragen, klar positionieren und neu anpassen und anschließend die verbandsinternen Strukturen überarbeiten.

„Wo sind die engagierten Menschen mit Migrationshintergrund im Turnverband?“ Wie in allen Sportverbänden und Sportvereinen, die ich kenne, ist auch das Gro des Schleswig-Holsteinische Turnverbandes weiß und männlich. Dies ist zwar nichts Schlimmes, spiegelt aber nicht unsere Gesellschaft und auch nicht unseren Gesamtverband wider. Ich weiß, dass die Denkmuster meiner Präsidiumskollegen nicht die Klischees bedienen, dennoch frage ich mich, was ein Sportverband wie der SHTV tun muss, um die eigenen Strukturen aufzubrechen, damit sich auch Menschen mit Migrationshintergrund ehrenamtlich in Führungspositionen engagieren. An welchen Hürden scheitert es? Ist es das Vorleben des eigenen Elternhauses? Ist es ein sozio-ökonomisches Problem? Fehlt die direkte Ansprache zum Engagement während des Trainings?

Im Artikel „Ist doch Ehrensache“ aus den Kieler Nachrichten vom 29.12.2023 steht im ersten Satz „Das Engagement steigt mit dem Einkommen“. Ist das der Grund, warum sich so wenig für mich erkennbare Migranten im Sport engagieren? In den sechs Sportverbänden, in denen ich selbst aktiv war und bin, gibt es wenig Menschen mit einer erkennbaren Migrationsgeschichte. Leider ist es oftmals das Gleiche. Homogene Gruppen bestärken sich gegenseitig in ihren Ansichten, wodurch der Mut und die Notwendigkeit für Veränderungen verloren geht. Die Frage die wir meiner Meinung nach stellen müssen ist, wie erreichen wir Menschen mit geringen Einkommen, wie Schüler:innen und Studierende? Aber auch Menschen mit Migrationsgeschichte, die mehrfach weniger verdienen als der „Bio-Deutsche“. Wir sollten deshalb die Fragen, an die richten, die wir nicht erreichen. Klingt unlogisch, aber das ist unsere Herausforderung, wenn wir als Vereine weiterhin existieren wollen. Wie können wir das Engagement attraktiv machen, wie überzeugen wir eine 18-jährige, sich einem Vorstand mit über 60-jährigen einzubringen?

Zwar sind die Debatten in den Gremien teilweise hitzig, oftmals aber auch zu kleinteilig. Die großen Fragen, wie wir Menschen mit Migrationsgeschichte für das Engagement begeistern können, bleiben ausgeklammert. Man möchte lieber mit einem guten Gefühl nach Hause gehen und lieber nicht die eigenen Missstände aufzeigen. Dies ist zwar ein nachvollziehbares menschliches Verhalten, kommt leider auch regelmäßig bei mir selbst vor, dadurch wird sich nachhaltig aber nichts verändern. Wenn das Engagement mit dem Einkommen korreliert, dann müssen wir den Punkt aufbrechen. Ob man unbürokratisch die Höhe der Übungsleiterpauschale an das Einkommen koppeln könnte, weiß ich nicht, wäre aber eine Überlegung wert. Denn es ist essenziell, dass sich Jugendliche, junge Erwachsene und Menschen mit Migrationsgeschichte auf der lokalen und regionalen Ebene für den Sport einbringen und ihre eigenen Rahmenbedingungen schaffen. Ich selbst habe während meines gesamten Studiums im Turnen „gearbeitet“. Es war für mich persönlich immer eine Mischung aus ehrenamtlichem Engagement und Aufwandsentschädigung für Trainer- oder Referententätigkeiten in einer staatlichen Schule, einer Landesturnschule oder im Landesleistungsstützpunkt.

Deshalb lautet mein persönliches Fazit zu diesem Text, lasst uns gemeinsam unsere Strukturen im Sport und insbesondere die im Turnen überdenken und prüfen, welche Stellschrauben wir gemeinsam drehen können, um den Zugang für junge Erwachsene und Menschen mit Migrationshintergrund zu vereinfachen. Lasst uns unsere eigenen Hürden abbauen und diese Menschen nicht anhand ihres sportlichen Potenzials und Erfolges messen. Jeder Mensch leistet seinen persönlichen Beitrag im Rahmen seiner Möglichkeiten zu einem guten gesellschaftlichen Miteinander und braucht deshalb auch nicht die Alternative.